„Dies geht unter Umständen damit einher, dass die Inflation vorübergehend moderat über dem Zielwert liegt“
EZB Chefin Lagarde anlässlich der Vorstellung eines neuen (höheren) Inflationsziels im Juli 2021
Wie wir alle in unseren Geldbeuteln merken ist dieses Zitat nicht gut gealtert; statt vorübergehend steuert die Inflation in Deutschland ungebremst auf zweistellige Werte zu. Bei Nahrungsmitteln und anderen Alltagsgütern liegt sie sogar bereits bei über 20 %. Doch warum geben sich die Europäische Zentralbank oder auch das Statistikamt (siehe Artikel 1) soviel Mühe die Inflation ständig klein zu reden und zu rechnen? Nun, weil die EZB dann keine Veranlassung hat ihre Politik des Gelddruckens zu ändern. Und von dieser Politik profitieren Staat und Kapital erheblich.
Doch wie funktioniert das mit dem Gelddrucken eigentlich?
Es gibt zwei Wege um neues Geld in Umlauf zu bringen. Der erste und „normale“ Weg ist über Kredite und die normalen Banken. Eine Bank die einen Kredit vergibt schafft dabei neues Geld, da sie nur (in der Eurozone 1%) einen Bruchteil der zu verleihenden Summe tatsächlich als Kundeneinlagen oder Kredit der Zentralbank tatsächlich besitzen muss. Der Rest ist neu erschaffenes Geld, im Fachsprech Giralgeld. In dieser Logik kann die Zentralbank mit der Senkung der Leitzinsen das Wachstum der Wirtschaft stimulieren. Leitzinsen sind die Zinsen, welche Banken erhalten in dem sie ihr Geld bei der Zentralbank einlagern, somit orientieren sich die Zinsen für die Kreditvergabe hieran, da die Banken natürlich mehr Geld verdienen wollen als mit Geld parken bei der Zentralbank. Durch günstigere Zinsen gibt es mehr Kredite und mehr neues Geld welches (theoretisch) in Investitionen fließt: Die Wirtschaft wächst.
In der Praxis gilt dieser Zusammenhang nur noch sehr eingeschränkt. Fast alle Zentralbanken fahren seit einem Jahrzehnt eine starke Niedrigzinspolitik. Ein starkes Wirtschaftswachstum blieb jedoch aus. Trotz der Möglichkeit sehr günstig Kredite aufzunehmen wurde dies nicht genutzt oder das neue Geld nicht in realwirtschaftliche Investitionen umgesetzt. Die Zinsrate kann jedoch nicht unter 0 % gesenkt werde, da die Leute ansonsten Bargeld horten. Diese Situation, ein geringes Wirtschaftswachstum welches ein niedrigeres Zinsniveau suggeriert, aber gleichzeitig die Zinsen bereits bei 0 sind, heißt in der Fachsprache Liquiditätsfalle und besteht in mehr oder weniger allen entwickelten Volkswirtschaften spätestens seit der Finanzkrise 2009.
Dies bringt uns zum zweiten Weg wie heutzutage das meiste Geld in Umlauf gebracht wird. Nachdem die Leute trotz niedriger Zinsen keine Kredite aufnehmen wollen (bzw. dies nicht können, wie später noch geschildert), wurde sich überlegt wie trotzdem Geld in Umlauf gebracht werden kann um „Investitionen zu stimulieren“. In der wirtschaftsfreundlichen „Fachsprache“ heißt das Zauberwort Quantitative Easing, was nichts anderes bedeutet dass die Zentralbank Geld druckt und dies ohne den Umweg über die Banken in Umlauf bringt. Mit diesem Geld werden dann Staatsanleihen und Aktien gekauft. Dies senkt die Zinsen für Staatsanleihen und hebt die Aktienpreise.
Doch was hat all dies jetzt mit den Preisen zu tun?
Volkswirtschaftlich betrachtet gilt für das Preisniveau folgende Formel: Geldmenge*Geldumlaufgeschwindigkeit=Preisniveau*Güterangebot
Das Preisniveau kann also steigen wenn entweder Geldmenge bzw. Umlaufgeschwindigkeit (diese ist allerdings stark mit der Inflation verknüpft und daher vernachlässigbar) steigen oder das Güterangebot sinkt. In der gegenwärtigen Lage überlagern sich diese Effekte und die jeweiligen politischen Lager und ihre Hausökonomen picken sich den jeweils ihnen genehmen Teil heraus. Für gewerkschaftsnahe Ökonomen erklärt sich die Inflation durch sinkendes Angebot (z.B. weniger Gas oder langsamere Lieferketten) bei gleichbleibender Geldmenge. Staatskritische Ökonomen betonen die steigende Geldmenge der vergangenen Dekade. In der Praxis haben beide Seiten recht.
Zu beachten ist, wer erhält das neue Geld und kauft damit was. In der vergangenen Dekade erhielten das neue Geld fast ausschließlich Banken, Unternehmen und reiche Leute. Denn arme Leute sind in der Regel nicht kreditwürdig und besitzen auch keine Aktien oder Staatsanleihen. So erklärt sich, warum die Inflation bisher nur auf die Vermögenspreise gewirkt hat. Denn Leute die schon vorher mehr als genug Geld hatten, kaufen mit dem neuen Geld keine Komsumgüter, sondern ihre Drittwohnung. In der Coronakrise hat sich dies dann geändert, erstmals bekamen auch Leute die ihre Konsumausgaben noch steigern können ein paar Krümel der Geldschwemme ab. Und prompt zogen die Preise für Konsumgüter an.
Volkswirtschaftflich ist es eine Binsenweisheit das zusätzliches Geld nichts real an den wirtschaftlichen Verhältnissen ändert. Das neue Geld erzeugt ein kurzes Strohfeuer und nachdem die Preise sich angepasst haben ist alles wie vorher nur mit höheren Preisen. Warum wird diese Strategie dann doch so agressiv verfolgt?
Der Staat als größter Schuldner profitiert von dem neuen Geld in zweierlei Maß. Erstens wird durch das neue Geld die Inflation angeheizt und dadurch die bestehenden Schulden weniger Wert. Zweitens wird durch den Ankauf von Staatsanleihen durch die Zentralbank deren Zinsen und damit die Kosten für neue Staatsverschuldung gesenkt. Somit kann der Staat weiterhin viel Geld ausgeben und damit (eventuell) gute Dinge finanzieren. In diese Richtung argumentieren auch einige vermeintlich Linke, gewerkschaftsnahe Ökonomen.
Für die Kapitalfraktion entsteht der Reiz der Geldschwemme vor allem in der extremen Asymmetrie der Verteilung des neuen Gelds. Sie stehen in der Nahrungskette der Geldverteilung oben und erhalten dieses Geld zuerst, sie können also mit dem neuen Geld noch zu den alten Preisen einkaufen. Hat sich das neue Geld in der Wirtschaft verteilt und die Preise steigen auf breiter Front haben sie, gemessen in Geld, schon erheblichen Gewinn gemacht. Für alle die nicht von dem neuen Geld profitieren weil sie keine Kredite bekommen und keine Aktien besitzen bleiben nur die gestiegenen Preise. Dieser Effekt wird Cantillon Effekt genannt.
Wohlgemerkt, es findet durch das neue Geld kaum zusätzliche Produktion oder Mehrwert statt. Es handelt sich bei Inflation allein um eine Neubewertung der bestehen wirtschaftlichen Güter. Es findet somit eine massive Umverteilung von den Leuten die nur ihre Arbeitskraft und etwas Geld besitzen hin zu Staat und Kapital statt.
Diese massive Umverteilung wird dabei maßgeblich von einer Institution gelenkt die keinerlei demokratische Legitimation besitzt. Die EZB ist niemanden gegenüber rechenschaftspflichtig und „unabhängig“, damit sie nicht Geld druckt für den Staat. Nebem dem Fakt, dass dies offensichtlich nicht funktioniert, die EZB kauft ja gerade Staatsanleihen um den Staat zu finanzieren, ist es interessant sich vor Augen zu führen was unabhängig eigentlich bedeutet. Ist die EZB unabhängig von deiner und meiner Meinung oder unabhängig von der Bundestagswahl? Mit Sicherheit. Ist die EZB unabhängig von der herrschenden ökonomischen Mainstreamlehre, von dem was Lagarde in ihrer Ausbildung gelernt hat, von dem was Think Thanks auf Ökonomentreffen verbreiten? Schon deutlich weniger. Wer die Diskurshoheit in dieser Ökonomensphäre hält kann die Geldpolitik ohne demokratische Kontrolle gestalten.
Staat und Kapital haben sich hier das perfekte System geschaffen. Ohne Demokratie können Sie den arbeitenden eine Steuer auferlegen welche zugunsten von Staat und Kapital umverteilt. Diese Steuer heißt Inflation und liegt im September 2022 in Deutschland bei 10 %!