Augenzeugen-Bericht: REWE in Neukölln – Security-Schläger und Polizeigewalt

Die offene Versammlung “Der Preis ist heiss“ hat diesen Bericht über einen Vorfall erhalten, der sich am 21.10.2023 vor REWE im Einkaufszentrum am Bahnhof Hermannstraße in Neukölln ereignet hat. Darin wird ein gewaltsamer Angriff zunächst von Sicherheitspersonal und später von Polizeikräften auf eine Person beschrieben. Als offene Versammlung haben wir uns entschlossen, den Bericht über diesen Vorfall zu veröffentlichen, da es sich um einen der vielen Vorfälle handelt, die von den Medien und der Polizei jeden Tag totgeschwiegen werden.

Samstag, 21.10.23 gegen 20:00 Uhr, REWE Hermannstraße

Der Vorfall beginnt, als wir sehen, wie sich der Security von REWE und eine andere Person vor dem REWE in der Hermannstraße streiten. Wir gehen davon aus, dass die Person den Supermarkt betreten wollte, der Secu dies jedoch nicht zuließ. Wenige Sekunden später dreht sich die Person zum Gehen um und ist auf dem Weg zur Treppe, die zum Ausgang führt.

Auf einmal eskaliert die Situation, der Secu von REWE rennt hinter der Person, die am gehen ist her und schlägt ihr mit voller Wucht auf den Hinterkopf. Die Person schwankt, dreht sich um und der Secu schlägt wieder zu, diesmal frontal ins Gesicht.
Durch das Eingreifen einiger Personen wurde der Angriff unterbrochen, der genannten/betroffenen Person wird schwindelig und sie fällt zu Boden.
Dann fing der Secu wieder an, der genannten Person mit voller Wucht ins Gesicht zu treten, und hörte dann erst wieder auf, als Leute eingriffen. …

Mittlerweile war das Gesicht der Person voller Blut.
Der REWE-Manager (?) taucht auf, fragt aber nicht, was passiert ist und ob es der Person, die blutend am Boden liegt, gut geht oder ob sie Hilfe braucht.

Er steht da, die Hände in die Hüften gestemmt, und versucht, die Gewalt des Secu zu rechtfertigen.

Der REWE Manager wurde gebeten, Erste-Hilfe-Material für den Mann zu organisieren, der halb bewusstlos und blutend am Boden liegt. Der Geschäftsführer weigerte sich mit der Begründung, dass es im REWE weder einen Erste-Hilfe-Kasten noch ein Desinfektionsmittel gebe!

Zwischenzeitlich wurden ein Krankenwagen und die Polizei gerufen. Der Rettungswagen sagte am Telefon, dem Betroffenen kein Wasser zu geben und nicht aufzustehen, da dies gesundheitsgefährdend sei.

Der Betroffene lag noch mehrere Minuten am Boden und blutete, er blieb ruhig und bekam Unterstützung von einer Person, die mit dem Betroffenen am Boden auf das Eintreffen des Rettungswagens wartete.

Die Polizei traf zuerst ein. 15 Polizisten rannten herbei, stoßen die Person, die sich um die betroffene Person kümmerte, zur Seite und fünf Polizisten greifen die betroffene Person am Boden an.
Sie stellten keine einzige Frage, sie hörten nicht auf, als ihnen jemand sagte sie sollten aufhören, und sie wendeten eine vollkommen übertriebene irrationale und vor allem unnötige Gewalt gegen die bereits betroffene Person am Boden an.

Ein Paar Leute versuchten, sich einzumischen, indem sie die Polizei anschrien und aufforderten, aufzuhören und die Person am Boden nicht zu foltern.

Diese Leute wurden von Zivilpolizisten, die ebenfalls plötzlich auftauchten, belästigt und dann zurückgedrängt. Eine der Personen die versuchte die betroffene Person zu verteidigen, wurde von einem Polizisten heftig auf die Schulter geschlagen.

Die Polizisten folterten den Betroffenen weiterhin mit verschiedenen Griffen und nahmen ihn schließlich fest. Währenddessen wartete der Krankenwagen vor dem REWE-Supermarkt, um die Wunden des Betroffenen zu versorgen, die zunächst von einem REWE-Security Mann und dann von der Polizei verursacht wurden.

Mit diesem Bericht werden wir einmal mehr Zeuge der systemischen Gewalt und ihrer Wurzeln. Vom Gewaltmonopol, das private Sicherheitsfirmen und Polizeikräfte besitzen, um die Anwendung von Gewalt zu legitimieren. Aus dem schriftlichen Bericht geht hervor, dass es keinerlei Rechtfertigung dafür gibt, warum ein solches Maß an Gewalt gegen die Person angewendet wird. Gewalt wird als primäres Mittel der Intervention gegenüber der Person eingesetzt, die nicht einmal den Raum bekommt, um zu diskutieren oder einfach ohne weitere Probleme zu gehen.

Wir sehen Parallelen zu vielen Fällen, in denen Sicherheitskräfte ihre Macht gegenüber Migrant*innen oder andern ausgegrenzten Menschen wie Wohnungslosen demonstrieren. Es ist zur Norm geworden, dass private Firmen die Polizei legal vertreten. Ein unvergessenes Beispiel ist die Ermordung von Eugeniu Botnari im EDEKA-Supermarkt am Bahnhof Lichtenberg durch die Hand des Marktleiters, der ihn wegen eines angeblichen Ladendiebstahls zu Tode prügelte. Ein weiteres Beispiel aus jüngerer Zeit ist der Schuss auf einen minderjährigen Menschen im Rossman im Hauptbanhof Anfang dieses Jahres. Diese und viele andere Fälle, die nie publik wurden, sind keine unglücklichen Ereignisse. Es ist die Macht der Sicherheitsfirmen und der Polizei, deren Morden und Verletzen Alltag ist. Es sind die Supermarktkonzerne wie REWE, EDEKA, ROSSMAN, die private Söldner anheuern, um ihr Eigentum und ihr Kapital zu „schützen“, indem sie diejenigen ermorden, verletzen und unterdrücken, die nicht in ihre kapitalistische Politik passen.

Shopping Malls sind deswegen höchst problematische Bereiche. Sie sind dazu bestimmt, Flächen des Privateigentums auszudehnen und sich Teile von vormals öffentlichem Leben einzuverleiben, um sie der Herrschaft der Besitzenden zu unterwerfen. Diese heuern Sicherheitpersonal an, das nicht nur den Innenbereich, sondern auch die Umgebung kontrollieren. Umgebung, die in unserem Fall eigentlich ein belebter Teil des U- und S-Bahnhofs Hermannstraße ist. Per Definition sind Einkaufszentren Orte des Konsums, was bedeutet, dass alles, was den Gewinn stören könnte, von den Eigentümern als Bedrohung angesehen wird und beseitigt werden soll. Obdachlose oder arme Menschen sind mit einer aktiven Ausgrenzung konfrontiert, die oft mit Gewalt von Mitarbeitenden der Sicherheitskräfte durchgesetzt wird. Wir müssen es als eine relevante Form des Klassenkampfes von oben gegen die Menschen begreifen, wenn der öffentliche Raum in einer Weise umgestaltet wird, die einen Teil von uns in erster Linie aufgrund ihrer finanziellen Situation ausschließt. Wir finden dies heutzutage überall. Die Unternehmen der „öffentlichen“ Verkehrsmittel wie die Deutsche Bahn oder die BVG spielen eine wichtige Rolle, indem sie die Bahnhöfe mit Konsumtempeln verschmelzen, wie am Hauptbahnhof und in der Hermannstraße. Als ob die großen Unternehmen und ihre Manager nicht genug davon hätten, die Preise für Waren und Fahrkarten zu diktieren und zu erhöhen!

Bei dem Vorfall, den wir zu veröffentlichen beschlossen haben, standen viele Leute dabei und sahen zu, griffen aber nicht weiter ein und riefen stattdessen die Polizei. Es zeigt sich aber immer wieder: wenn man die Polizei ruft, ruft man zur zweiten Runde der Gewalt. Die Polizeigewalt eskaliert parallel zur Systemkrise des Kapitalismus. In diesem Fall der Gewalt durch den REWE-Sicherheitsdienst und durch die Bullen unterstützen wir die (sehr wenigen) Menschen, die sich entschieden haben, nicht passiv zu bleiben und einzugreifen, indem sie die Person unterstützten, die zusammengeschlagen und verletzt wurden – entweder physisch oder psychisch. Diese Formen des Eingreifens sollten nicht nur in der Verantwortung von Einzelnen bleiben, sondern gemeinsam getragen werden.

Wir ermutigen auch die Menschen um uns herum, zu handeln, die Betroffenen zu unterstützen und nicht nur Zeugen eines Falles zu bleiben, der verschwiegen oder in Vergessenheit geraten wird. Es ist nie zu spät, auch wenn wir uns angesichts von Gewalttaten machtlos oder wie erstarrt fühlen, sollten wir danach immer versuchen, andere Personen oder Gruppen um Unterstützung zu bitten und mit allen Mitteln intervenieren.